Ihre weiche Altstimme gehört am Wochenende zum Frühstück wie Kaffee und Gugelhupf: Seit zwölf Jahren dominieren Claudia Stöckl und ihre nachdenklichen Plaudergäste den Sonntagvormittag der Österreicher. Das Schürfen nach den innersten Gefühlen der prominenten Gäste bereitet der Morgentalkerin unvermindert Vergnügen – ihrem Publikum sowieso.
Mittagszeit im Restaurant „Nirvana“ in der Wiener Innenstadt. Düfte nach Tamarinde und Kreuzkümmel, Süßholz und scharfem Chili dringen bis hinaus in die kalte Luft der Rotenturmstraße, wo soeben, verspätet und etwas abgehetzt, Claudia Stöckl auftaucht. Pawan Bata, der freundliche Wirt, stellt ihr eine Schüssel mit Dal Shorba hin, eine würzig dampfende Linsensuppe. Claudia braucht Stärkung, denn zum Frühstücken hatte sie wieder einmal keine Zeit gehabt. Es ist Mittwoch, an diesem Tag muss endgültig festgelegt werden, wer am nächsten Wochenende bei ihr im Radio zu Gast sein soll, und die Zeit wird knapp. Die Wahl ist nicht einfach, denn es muss erstens eine prominente Persönlichkeit sein, zweitens eine, die noch nie oder wenigstens schon länger nicht in „Frühstück bei mir“ war – und davon gibt es bei einer Sendung, die seit 1997 mehr als 600-mal lief, nicht mehr gar so viele. Vor allem aber hat die Ö3-Redaktion, mit der Claudia ihre Einladungen abstimmen muss, den Ehrgeiz, jede Woche aktuell zu sein. Also muss jemand gefunden werden, über den gerade gesprochen wird. Und natürlich muss der oder die Auserwählte auch noch einen halben Tag freimachen können. Denn so ein Gespräch bei Tee und Kipferl lässt sich nicht einfach abspulen wie ein Interview, das nach zwanzig Minuten im Kasten ist. Wenn „Frühstück bei mir“ wirklich klingen soll wie der entspannte Gedankenaustausch zweier Menschen, die ihre Freizeit genießen – dann kann es mitunter schon einmal vier Stunden oder länger dauern, ehe sich genug Material auf der kleinen Festplatte des Aufnahmegeräts angesammelt hat. „Wir machen eine richtige Inszenierung“, betont Claudia Stöckl, „die Aufzeichnung findet zwar nicht immer am Morgen statt, weil das die Termine oft nicht zulassen. Aber es wird immer richtig gefrühstückt, es gibt Tee und Kaffee und Gebäck. So eine Atmosphäre lässt sich nicht künstlich erzeugen.“ Vor allem aber nehmen sich die Teilnehmer Zeit, und hier liegt das wahrscheinlich wichtigste Erfolgsgeheimnis des Ö3-Dauerbrenners. Denn nach Stunden des freundlichen Geplauders lässt selbst der abgebrühteste Medienprofi die beim Coaching angelernten Interviewsätze hinter sich und beginnt sich zu öffnen. Und die erstaunten Radiohörer erleben plötzlich, wie trockene Politiker über den Tod und die Liebe reden, Sportler über Schmerzen und Krankheit sinnieren oder eitle Schauspieler ihre heimlichen Ängste ausbreiten.
Der glücklose Kanzler Alfred Gusenbauer zum Beispiel begann 2006 mitten in einem Satz über nicht gehaltene Wahlversprechen plötzlich von seinen Gewichtsproblemen zu reden und von der Kohlsuppendiät, die er gerade absolviert. Auch beim Frühstück hatte er eine Thermoskanne mit dem muffigen Gebräu dabei. Ex-Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky hatte 2007 zwar geplant, beim sonntäglichen Radioauftritt ihre Affäre mit einem (damals noch verheirateten) Mitarbeiter des Innenministeriums zu bekennen. Als sie sich dann aber in genussvollen Schilderungen darüber verlor, was sie in einsamen Stunden in der Badewanne tut, standen ihren Pressebetreuern die Haare zu Berge. Höchst bemerkenswert entwickelte sich auch das Frühstück im Jänner 2006 mit Wilfried Seipel, dem strengen Direktor des Kunsthistorischen Museums, der zu diesem Zeitpunkt unter heftigem politischen Beschuss stand. Erst wies er empört alle Fragen über die Angriffe gegen ihn oder über die verschwundene und wiedergefundene „Saliera“ zurück – um dann plötzlich Einblick in ganz private nächtliche Gewohnheiten zu geben („Ich trage im Bett einen Seidenpyjama mit kurzen Hosen“). Nachträglich böse war trotzdem noch niemand auf die blonde Gastgeberin, im Gegenteil. Die meisten sind tief eingenommen von ihrem Einfühlungsvermögen. „Claudia ist die empathischeste Person, die ich kenne“, sagte zum Beispiel der Herausgeber des „profil“, Christian Rainer, in einem Interview. Rainer war mit Stöckl vorübergehend liiert, ist immer noch mit ihr befreundet und hat ihr schon mehrmals geraten, sich bei ihren Interviews nicht immer gar so persönlich hineinkippen zu lassen. „Mein Problem ist, dass mich das einfach interessiert, wie diese Menschen denken und fühlen“, verteidigt Claudia ihre Gesprächstechnik, die oft mehr an die Couch eines Psychiaters denken lässt als an ein Kaffeehaus. Tatsächlich versuchen manche ihrer Gäste die losgelassenen Gedanken nachträglich wieder einzufangen, nachdem sie ins Leben zurückgekehrt sind und feststellen, dass sie mehr von sich gaben als sie vorhatten. Zumindest ist ein solcher Versuch von Jörg Haiders BZÖ-„Lebensmensch“ Stefan Petzner überliefert, der die Ausstrahlung eines kurz nach dem Tod des Landeshauptmanns gegebenen Interviews stoppen wollte, mit der Begründung: „Ich muss mich vor mir selbst schützen, ich habe meinen Gefühlen zu sehr freien Lauf gelassen.“ Vergeblich. Seine wehmütigen Reminiszenzen gingen ebenso auf Sendung wie die händchenhaltenden Dialoge (Petzner: „Ich spüre, dass Jörg bei mir ist und auf mich aufpasst.“ – Stöckl: „Mmh, das ist schön, da haben Sie einen Schutzengel bekommen.“).
Für die Radiosendung inszenieren wir immer ein richtiges Frühstück, auch wenn die Aufzeichnung nicht am Morgen stattfinden kann, mit Tee und Kaffee und Gebäck. So eine Atmosphäre lässt sich nicht künstlich erzeugen.
Claudia Stlöckl
Neugierde auf die Welt im Allgemeinen und ein hochentwickeltes soziales Gefühl prägen Claudia Stöckls Persönlichkeit seit früher Jugend an – den Journalismus dagegen musste sie sich erst langsam erobern. Als eines von fünf Geschwistern lernte Claudia von Anfang an, sowohl ihren Platz zu behaupten, als auch die Bedürfnisse anderer zu akzeptieren. Zwei ihrer Schwestern zog es übrigens ebenfalls ins Medienbusiness: Suzy ist Fashion-Fotografin, Barbara betreibt mit „Help TV“ und als Ombudsfrau der „Kronen Zeitung“ Lebenshilfe im großen Stil. Als Kind teilte Claudia mit Barbara das Zimmer. „Sie war immer die Ordentliche, ich die Schlampige. Wir haben oft gestritten.“ Die Familie ist bis heute Anker und Fixpunkt in Claudias Leben. Sie telefoniert regelmäßig mit ihren Geschwistern, sie holt sich Rat in persönlichen Fragen, sie vertraut auf deren Urteil, wenn es um heikle Entscheidungen geht. Sonntags kommt sie fast immer zum Mittagessen zur Mama, selbstverständlich wird auch Weihnachten im Familienkreis gefeiert. Damals mit 19 wollte sie freilich eher weg. Also packte sie einen leichten Rucksack und fuhr mit einer Gruppe von Studenten nach Burkina Faso in Westafrika. „Wir halfen beim Aufbau einer Rotkreuzstation. Wir schliefen nachts am Boden und wuschen uns am Brunnen. Der spätere Grünpolitiker Christoph Chorherr war übrigens auch dabei. Es war verrückt, aber aufregend.“ Zurück in Wien startete sie ein Publizistikstudium, das die „unruhige Romantikerin“ (Eigendefinition) nach wenigen Semestern wieder abbrach, um sich in Paris als Model zu versuchen. „Ein hartes Geschäft, aber man lernt, sich selbst richtig einzuschätzen“, erinnert sich die Blondine, „überall, wo man hinkommt, muss man sich einem Casting stellen, man wird taxiert und bewertet, und überall gibt es ein Dutzend Frauen, die längere Beine, eine bessere Figur oder feinere Gesichtszüge haben. Irgendwann kapiert man, dass der eigene Wert nicht davon abhängen kann, wie einen andere einstufen.“ Etwas mehr als zwei Jahre hielt sie es im Scheinwerferlicht der Catwalks und Studiokameras aus, dann zog es sie zurück nach Wien. Schon in Paris hatte Claudia neben ihren Modeljobs Interviews und Reportagen aus der Glamourwelt des Modebusiness für österreichische Magazine wie „Diva“, „Ego“ und „Wohnen“ geliefert. Jetzt heuerte sie dort als regelmäßige Mitarbeiterin an. 1992 stieß sie zu Ö3, für den sie zunächst als Societyreporterin unterwegs war. Ein Geschäft für Nachtschwärmer: Abends rückte die rastlose Wortspendensammlerin mit dem charakteristischen roten Mikrofon zu glamourösen Empfängen oder auch Marchfelderhof-Geburtstagsfeten aus. Frühmorgens konnten die verschlafenen „Wecker“-Hörer ihre „Ö3-Dabei“-Beiträge über vom Vortag hören. Freilich brachte die tägliche Präsenz in der meistgehörten Radiostunde des Landes auch den angenehmen Nebeneffekt der eigenen Berühmtheit. Bald musste sie nicht mehr um O-Töne kämpfen, weil die Promis selber zu ihr kamen, um mehr oder weniger originellen Gedanken abzuliefern. Die Zeitschrift „News“ erkannte ebenfalls das Bekanntheitspotenzial der Marke „Stöckl“ und sicherte sich ihre Mitarbeit für das Gesellschaftsressort. Erst als Claudia 1997 die Serie „Frühstück bei mir“ startete, stellte sie ihre Arbeit für alle anderen Medien außer dem ORF ein. Dafür folgten Moderatorenjobs, bei denen sowohl ihre Kenntnis der Promi-Szene als auch ihre Routine beim Reden ins Mikrofon zum Einsatz kamen: die Gala zur Vergabe des Fernsehpreises Romy 2001, der Life Ball 2004, der Opernball 2008.
Und dennoch: Die Welt des Glamours und des Ruhms allein war Claudia Stöckl zu wenig. Die alte Sehnsucht, etwas zu einer besseren Welt beizutragen, brach wieder durch. „Man braucht ein Gegengewicht zur Dekadenz unseres Berufs“, sagt sie ganz offen, „wenn man sich nur damit beschäftigt, ob Angelina Jolie neue Schuhe hat, verliert man die Dimensionen.“ Eine Möglichkeit, „etwas von dem zurückzugeben, was mir das Leben geschenkt hat“, tat sich auf, als der Verein Zukunft für Kinder, kurz ZUKI, Claudia um Hilfe bat. Die Organisation hilft Straßenkindern in Kalkutta, sammelt Geld und baut damit Kinderheime, finanziert Gesundheitsversorgung und Berufsausbildungen für obdachlose Slumkinder, die sonst wahrscheinlich nur die Chance auf ein Leben als Bettler hätten. Seit einem Jahr ist Stöckl auch Obfrau des Vereins und nützt ihre Kontakte zu den Reichen und Mächtigen „schamlos aus, um Geld aufzutreiben“. Vier Häuser wurden mittlerweile gebaut, 230 Kinder sind in ständiger Betreuung, das Geld kommt über ein Patenschaftssystem von regelmäßigen Spendern. Viel zu wenig, denn die Schar der Chancenlosen ist groß, und Claudia will möglichst vielen helfen – „am liebsten allen.“ Einmal im Jahr reist sie selber nach Kalkutta, um nach dem Rechten zu sehen, die Finanzgebarung zu überprüfen und sich mit einer Realität zu verdrahten, von der die Menschen im Westen wenig Vorstellung haben. „Es geht mir immer wieder nahe, wie ungerecht das Schicksal ist. Da gibt es hochintelligente Kinder, die hart arbeiten – aber wenn ihnen niemand hilft, kriegen sie einfach keinen Start ins Leben.“ Nach solchen Reisen könnte Claudia Stöckl auch ohne Zögern die Frage beantworten, die sie bei ihren Kaffee-Interviews stets zuletzt im Wordrap stellt, nämlich: „Was sollen Ihre letzten Worte sein?“ Die Replik der guten Tante von Kalkutta würde lauten: „Ich hatte ein erfülltes Leben.“ Ach ja, der Frühstücksgast: Der war ein halbes Dutzend Telefonate später schnell gefunden. Im Ambiente von Teetassen, Schinkenweckerln und Mikrofon nahm schließlich Hermann Maier Platz und sprach über seinen Rückzug aus dem Skisport.